CDU Schöppingen-Eggerode

Diegel geht in die Offensive

Schöppingen - Auch über sechs Wochen nach der tödlichen Messerattacke auf den 18-jährigen Kevin - mutmaßlicher Täter ist ein Bewohner der Zentralen Unterbringungseinrichtung für Asylbewerber (ZUE) - ist Schöppingen weit von der Normalität entfernt. Die Emotionalität, Aufgewühltheit, aber auch Zerrissenheit, die die Informations- und Diskussionsveranstaltung am Montag in der Aula der Verbundschule prägte, hatte eine bislang nicht gekannte Dimension - vergleichbar auch nicht mit der Diskussion über die mangelhafte notärztliche Versorgung, die 2005 die Gemüter erhitzte.
Fast dreieinviertel Stunden lang stellte sich das Podium mit Vertretern der Polizei, den Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderats, Bürgermeister Josef Niehoff sowie Volker Milk und Helmut Diegel von der Bezirksregierung Arnsberg den Schöppingern, die so zahlreich in der Verbundschule erschienen waren, dass selbst Stehplätze Mangelware waren. Das verbale Gewitter, das über sie hereinbrach, war erwartungsgemäß heftig. Aber es war auch reinigend: Über viele Jahre hinweg angestauter Frust über eine Vielzahl negativer Erfahrungen der Bevölkerung mit der ZUE und ihren Bewohnern - seien es Wohnungseinbrüche, Diebstähle oder verbale Belästigungen - entlud sich beinahe schlagartig. Auch vereinzelte gegensätzliche Stimmen konnten daran wenig ändern.



Schwere Stunden für beide Seiten, insbesondere aber für Helmut Diegel. Der Arnsberger Regierungspräsident - seine Behörde hat die Aufsicht über die Schöppinger Einrichtung - stand im Kreuzfeuer der Kritik. So sehr, dass er zwischenzeitlich protestierend klarstellte: „Ich stehe hier nicht vor einem Tribunal!“

Schnellstmögliche Schließung der ZUE - immer wieder stand am Montag diese Forderung im Raum. Ob es tatsächlich dazu kommen wird, konkretisierte sich erst ganz zum Schluss, als Diegel erklärte: „Wenn sich der Gemeinderat im Dezember für die Schließung aussprechen sollte, stehe ich im dem Fall, dass diese Entscheidung sachlich begründet und nicht emotional erfolgt ist, dahinter.“

Zugleich machte er deutlich, dass die Bezirksregierung sich das Ziel gesetzt hat, alles zu tun, damit dieser Fall nicht eintrifft. Hintergrund: Einen Alternativ-Standort zu finden, wie von vielen gefordert, ist zumindest kurzfristig so gut wie unmöglich. Ihm sei auf der anderen Seite aber auch klar, dass eine ZUE in Schöppingen auf Dauer nicht haltbar ist, „wenn die Bevölkerung nicht dahintersteht“. Daher ging Diegel in die Offensive: „Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir von Seiten der Polizei und der Bezirksregierung jetzt alles tun werden, um die Situation nachhaltig zu verbessern.“
Welche Maßnahmen das im Einzelnen sind, hatte zuvor sein Mitarbeiter Volker Milk rekapituliert - und dabei zwischendurch immer wieder den Unmut des Publikums in Form von Buh-Rufen zu spüren bekommen. Wirklich neu waren die repressiven als auch präventiven Maßnahmen (unter anderem bauliche Veränderungen, Einstellung zusätzlichen Wachpersonals, Bürgersprechstunde) sowie zusätzlicher sozialpsychologischer Betreuung nicht. Wohl aber die Äußerungen von Alfred Bernitzke, Leitender Polizeidirektor der Kreispolizeibehörde Borken, zur von Die­gel bereits nach der Sondersitzung des Rates angekündigten 24-Stunden-Präsenz der Polizei. Bereits seit dem 22. August sei „rund um die Uhr“ eine Streifenwagenbesatzung ausschließlich für das Gemeindegebiet Schöppingen abgestellt, zeitweise werde diese von einer weiteren Streife aus Steinfurt oder Coesfeld unterstützt. Zudem gibt es seit dem 24. August einen weiteren Bezirksbeamten vor Ort. Eine derartige Polizeipräsenz gebe es landesweit in keiner weiteren Gemeinde, so Diegel. Beide Maßnahmen sollen dauerhaft erhalten bleiben - obwohl Schöppingen im kreisweiten Vergleich kein Brennpunkt bei Straftaten ist.

Eine fest installierte Wache, wie sie Diegels Pressesprecher seinerzeit nach der Ratssitzung auf Nachfrage der WN in den Raum stellte, wird es indes nicht geben. Statt dessen soll die vorhandene Dienststelle an der Feuerstiege den neuen Gegebenheiten baulich angepasst werden. Die 24-Stunden-Präsenz in Schöppingen bestreitet die Polizeiinspektion Nord der Kreispolizeibehörde Borken aus dem vorhandenen Personalpool, Neueinstellungen sind nicht vorgesehen.

Bernitzke versicherte zudem, Reaktionszeiten zu hinterfragen und Verbindungsproblemen bei der Wahl der Notrufnummer 110 nachzugehen. Sowohl Bernitzke als auch Diegel richteten die dringende Bitte an die Bevölkerung, jeden Vorfall mit Bezug auf die ZUE der Polizei auch zu melden. Es werde nichts unter den Teppich gekehrt.

Volker Milk ging auf die immer wieder kritisierte fehlende Verhältnismäßigkeit der durchschnittlichen Zahl der Asylbewerber in der ZUE im Vergleich zur Einwohnerzahl Schöppingens ein. Er bezeichnete die Auslegung auf 300 Bewohner als „überschaubar“ und im Vergleich zu anderen Bundesländern als „gering“. Ein wirtschaftlicher Betrieb unter dieser Zahl sei nicht möglich. Auch die zweite ZUE des Landes in Hemer befinde sich in einem kleinen Ortsteil mit nur 3000 Einwohnern. Das sei durchaus sinnvoll. Milk: „Die weitaus meisten Asylbewerber kommen aus ländlichen Gebieten.“

Wie ernst es Diegel mit der erfolgreichen Umsetzung des Maßnahmekatalogs ist, zeigte sich bei der Frage eines Anwesenden, wie es denn sein könne, dass der mutmaßliche Täter, obwohl in England bereits mit einem ähnlichen Delikt aufgefallen und abgeschoben, in Deutschland erneut ein Asylbewerberverfahren durchlaufe. „Das war ein Fehler, der nicht wiedergutzumachen ist“, räumte Diegel ein. Er wolle sich dafür einsetzen, dass derartige Fälle zukünftig ausgeschlossen sind, „und wenn dafür eine Grundgesetzänderung erforderlich ist“. Grundsätzlich brach der Regierungspräsident jedoch eine Lanze für die Asylbewerber: „99,9 Prozent haben einen berechtigten Grund, Asyl zu begehren.“ Er machte aber auch deutlich: „Wenn ein Asylbewerber sein Gastrecht missbraucht hat, dann gehört er abgeschoben.“